"Why is this difference between the numbers of jobs and the numbers of job-seekers?"
Diese Frage war für Michael, ein 23jähriges Mitglied der KAJ Flaanders, eine der drängendsten Fragen auf dem Europaseminar unter dem Motto „Talking 'bout my generation“ , welches von der JOC Europe organisiert worden war und vom 27.11.-1.12. in Königswinter/Deutschland statt fand.
„I want a job!“ formulierte er an anderer Stelle. Was er nicht ausdrücklich dazu sagte: einen festen Job. Nicht nur einen befristeten für eine Woche oder für einen Tag, wie er sie in den letzten Jahren immer mal wieder - über Leiharbeitsfirmen – bekam. Nach Auslaufen dieser Verträge war er wieder arbeitslos. „Es ist so absolut unmöglich, irgend etwas zu planen!“ konstatierte ein anderes Mitglied einer Arbeitnehmerorganisation, welcher ebenfalls von der Situation betroffen ist.
Genau dies wollten aber alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Veranstaltung: endlich Sicherheit, endlich die Möglichkeit, auch mittel- und langfristige Entscheidungen treffen und damit letztendlich auch endlich die Möglichkeit, Verantwortung für sich selbst und für andere zu übernehmen.
Dem standen entweder Arbeitslosigkeit oder befristete Arbeitsverträge entgegen – direkt beim Arbeitgeber, für den gearbeitet wurde, bei einer Leiharbeitsfirma oder auch quasi als Selbstständige über einen Werkvertrag.
Die belgischen VertreterInnen berichteten, dass junge Menschen sich permanent in Bereitschaft aufhalten. „Wenn eine Leiharbeitsfirma anruft, und sie beispielsweise für den morgigen Tag eine Arbeit für einige Stunden anbieten, dann musst du zusagen, selbst wenn die Fahrkosten fast das Geld, dass du in diesen Stunden verdienst, aufbrauchen. Denn wenn du ablehnst, schreiben sie dich auf eine Liste, und werden dich nicht wieder anrufen. Ich bin deshalb einmal um vier Uhr morgens zu einer Arbeit gefahren, bei der ich 2 Stunden unterwegs war und nur 3 Stunden arbeiten musste“, so ein Erfahrungsbericht.
Solche „schwarzen Listen“ der Leiharbeitsfirmen kannten die anwesenden deutschen Vertreterinnen nicht. Davon abgesehen aber waren die SeminarteilnehmerInnen sehr überrascht darüber, wie viele Ähnlichkeiten sie in ihren Realitäten entdeckten. Dabei waren die Gemeinsamkeiten an vielen Stellen sehr konkret. So war Sarah (27) aus Deutschland sehr erstaunt, als Alem (26) aus Brüssel von Minijobs und unbezahlten postgraduellen Praktika erzählte. „Diese Aspekte prekärer Arbeit hielt ich bisher für deutsche Phänomene!“
„Das deutsche Arbeitsmarktmodell wird in andere europäische Länder exportiert, teilweise direkt, teilweise über die EU-Institutionen.“ So erklärte Stephanie Wahl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für theologische Ethik der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, diese Beobachtung der SeminarteilnehmerInnen. Auch an anderen Stellen bestätigte ihre Analyse die Wahrnehmung der betroffenen Mitglieder der Arbeitnehmerorganisationen. Europäische ArbeitnehmerInnen, besonders junge, stehen laut Wahl einem flexibilisierten Erwerbsarbeitsmarkt gegenüber. „Der Fokus der Politik lag in den vergangenen Jahren auf der Absenkung von Erwerbsarbeitslosigkeit. Die Qualität der Erwerbsarbeit war weniger im Blick – und das hat Folgen.“
Wem nützt diese Entwicklung denn? Mit der nahe liegenden Antwort: „den Arbeitgebern, weil sie kein Risiko mehr tragen müssen“ waren nicht alle Anwesenden in Königswinter vollständig zufrieden. Anne (25) aus Deutschland meinte dazu: „Eigentlich hat prekäre Arbeit doch auch für Unternehmen negative Folgen. Es kann doch nicht gut sein, wenn jemand, der gerade eingearbeitet wurde, schon wieder geht. Außerdem schwächt es doch auch das Zugehörigkeitsgefühl zum Arbeitgeber, wenn man sich der eigenen Befristung bewusst ist.“
Wahl verwies bei der Frage auf die Shareholder und Akteure der Finanzmärkte. Zugleich betonte sie aber auch sie, dass es wesentlich mehr Leidtragende als Profiteure der Entwicklung gebe. Dazu gehöre auch das politische System. Denn desto mehr Unsicherheit oder sogar Armut in einer Gesellschaft sei, desto geringer sei auch die politische Beteiligung. Dass des Weiteren letztlich die gesamte Gesellschaft Schaden davon trägt, weil unter solch unsicheren Bedingungen keine Familien gegründet werden, war eine auf diesem Seminar sehr offensichtliche Folge prekärer Beschäftigung. „Ich bin 27 Jahre alt und kann mein Leben nicht planen! Wie soll ich da eine Familie gründen?“ fragte Inka aus Deutschland.
Angesichts dieser katastrophalen Folgen für die einzelnen ArbeitnehmerInnen, für die Politik und für die gesamte Gesellschaft sollten auch die Unternehmen ihre Verantwortung wahrnehmen! Dies war einhellige Meinung der TeilnehmerInnen. Sie wünschten sich einen respektvollen Umgang der relevanten Akteure des Arbeitsmarktes miteinander. Darüber hinaus betonte Sophia aus der Ukraine, 26 Jahre alt: „Es ist doch eigentlich normal, dass die Gesundheit eines Menschen wichtiger ist als Geld. Das sollte sich auch auf dem Arbeitsmarkt zeigen!“
„Fair statt prekär“ – so fassten die jungen EuropäerInnen ihre Vorstellung eines sozial gerechten europäischen Erwerbsarbeitsmarktes zusammen. Diesen Slogan verkündeten sie auch im Rahmen einer spontan entwickelten symbolischen Aktion auf dem Bonner Weihnachtsmarkt. Dabei verteilten sie Handzettel mit Informationen, die sie in den ersten Seminartagen entdeckt oder konkret für diese Aktion recherchiert hatten. „Es war überraschend, auf wie viel Zuspruch wir stießen“, so Sarah Prenger, Europa-Koordinatorin der CAJ, nach der Aktion. „Eine Frau, die selbst seit mehreren Jahren nur über Leiharbeit Erwerbsarbeit gefunden hat, schloss sich uns sogar an. Dass sich jemand von außen an eine symbolische Aktion anschließt, ist mir noch nie passiert. Das zeigt, welch große gesellschaftliche Relevanz unser Seminarthema hat!“
Folgerichtig wollten es die TeilnehmerInnen nicht bei dem einen Europaseminar belassen. Hingegen sahen sie die Notwendigkeit, als europäische ArbeitnehmerInnen gemeinsam zu handeln, um langfristig ihre Vision eines sozial gerechten Arbeitsmarktes in Europa Wirklichkeit werden zu lassen. Sie entwickelten am letzten Tag in Königswinter erste Ideen für einen europäischen Aktionsplan, mit dem sie sowohl in ihren nationalen Organisationen als auch auf europäischer Ebene für eine gerechtere Arbeitswelt eintreten werden.